Bénédicte Kurzen

Fotojournalismus

Das Dasein als Zwillingspaar hat an vielen Orten der Welt eine hohe Symbolkraft, aber nirgendwo so sehr wie in Nigeria. Wir wollten das Konzept »Zwillinge« verstehen, nicht nur in Form der Perzeption durch die Gesellschaft, sondern durch das Abbilden der genetischen Verbindung in kraftvollen Porträts und Kompositionen.

Das Spezialprojekt

Bénédicte Kurzen und Sanne De Wilde erkunden das Dasein von Zwillingen im modernen Nigeria. Sie besuchten Igbo-Ora, die selbsternannte »Zwillingshauptstadt der Welt«, in der Zwillingen gehuldigt wird, die Stadt Abuja mit ihrer dunkleren Geschichte in Bezug auf die Perzeption von Zwillingen, und Calabar, wo Traditionen und Überzeugungen bereits transformiert wurden.



F: Was hat Sie an der Zwillingsgeschichte Nigerias fasziniert?

Bénédicte: Die Rate der Zwillingsgeburten in Nigeria ist höher als in jedem anderen Land der Welt. In einigen Regionen wurden deshalb Schreine errichtet, die Zwillingen und den untrennbaren Banden huldigen, die Zwillingspaare verbinden. Ich hörte aber auch von einem Waisenhaus in Abuja, das Zwillingen Obhut gewährt, die in ihrem Umfeld mit dem Tod bedroht wurden, weil sie Unglücksbringer seien. Andere Kinder, deren Mütter während der Geburt starben, sollten mit den Körpern ihrer verstorbenen Mütter begraben werden. Diese Kindstötungen finden in einigen wenigen und sehr spezifischen Gemeinwesen statt, die sich nur eine Stunde von Abuja entfernt befinden.





Bénédicte: Ich wollte die Komplexität des Zwillingslebens in Nigeria verstehen und es nicht banalisieren. Darüber sprach ich mit Sanne, der neuesten Angehörigen unserer Agentur (NOOR). Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Genetik und die Frage der Perzeption. Sie beschloss, mich in Nigeria zu treffen. Und dann passte alles zusammen. Je mehr wir uns um das Projekt bemühten, desto klarer wurde uns, dass wir die Duplizität unseres Motivs auf unsere Tätigkeit ausweiten, also zwei Visionen, zwei Arten der Fotografie zusammenführen mussten.





Sanne: Wir wollten Igbo-Ora besuchen, die selbsternannte »Zwillingshauptstadt der Welt«, in der Zwillinge gefeiert werden und Gleichheit gefördert wird. Zudem befindet sich dieser Ort nahe der Stadt Abuja, die eine wesentlich dunklere Geschichte hat und in deren Umgebung laut Berichten Zwillinge immer noch misshandelt werden. Wir wollten nicht nur erforschen, wie unterschiedlich Zwillinge in ihren jeweiligen Gemeinwesen wahrgenommen werden, sondern auch die genetische Verbindung ins Auge fassen.





F: Wie aufwendig war die Planung?

Sanne: Wir mussten die richtige Balance finden, also möglichst vorausschauend planen, aber auch Raum für Flexibilität lassen, um auf das reagieren zu können, was wir vor Ort sehen würden. Du kannst Monate im Voraus planen. Wenn du dann ankommst, läuft nicht alles wie erwartet.

Wir hatten für den ersten Teil unserer Reise geplant, im Waisenhaus in Abuja zu arbeiten. Für den zweiten Teil der Reise ließen wir uns mehr Luft, um auf Überraschungen reagieren zu können. So sehr es in der Fotografie um die Planung der perfekten Aufnahme geht, so wichtig ist es auch, das Umfeld wahrzunehmen und Unerwartetes aufzugreifen.





Bénédicte: Man versucht, eine Infrastruktur aus Menschen, Orten und Geschichten zu entwickeln, basierend auf zuvor festgelegten Elementen. Für dieses Projekt war die Geografie eines der wichtigsten Elemente. Als wir durch Nigeria reisten, ergaben sich neue Erzählebenen. Die Forschung spielte dabei eine herausragende Rolle. Wir haben eine Reihe von Artikeln herangezogen, die von Akademikern zum Gegenstand verfasst wurden und uns Hintergrundwissen vermittelten. Dieses Wissen half uns, die Schlüsselaspekte zu identifizieren und zu erfassen. Wir haben beispielsweise gelernt, dass Zwillinge in einigen Gemeinwesen vergiftet wurden. Entsprechend stellen einige Bilder symbolisch diese vermeintlich unschuldigen Orte mit ihrer dunkleren Vergangenheit und Konnotation dar.





F: Auf welche Schwierigkeiten und Überraschungen sind Sie während der Reise gestoßen?

Sanne: Es kam zu einigen Verzögerungen, mit denen wir umgehen mussten. Obwohl sich der Aufenthalt in Nigeria als sehr intuitiv erwies, ist das Herumreisen nicht wirklich einfach. Zudem hatten wir eine Autopanne, die uns einige Tage kostete. Trotz Hitze, Essensmangel und unglaublich vielen Insektenbissen (Flöhe stehen auf Bene!) fanden wir doch für jede Herausforderung eine Lösung, hauptsächlich dank der Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit der Menschen in Nigeria. Als wir mit den Menschen über ihre Kultur und ihre Ansichten zu Zwillingen sprachen, zeigten sie sich sehr enthusiastisch – und dankbar für die Mühen, die wir auf uns genommen hatten, ihre Sicht zu verstehen.

Bénédicte: Viele, die wir fotografierten, fanden dies zugleich überraschend und aufregend. Immer wieder wurden wir gefragt, ob wir beide Zwillinge seien. Selbst als wir durch die Straßen von Lagos gingen, hörten wir die Menschen »Ibeji!« (das Wort für Zwillinge in der Sprache Yoruba) rufen.





Sanne: Eine Schwierigkeit, von der wir nicht wussten, wie sie sich entwickeln würde, war die Zusammenarbeit bei einem so komplexen Projekt. Es war für uns beide die erste Kooperation dieser Art und deshalb in vielerlei Hinsicht ein Experiment. Wir haben jedoch sofort ein gegenseitiges Verständnis entwickelt, ergänzt um unsere individuellen Arbeitsweisen. Diese Partnerschaft hat uns auch geholfen, eine Verbindung zu den Menschen herzustellen, mit denen wir zusammengearbeitet haben.

Bénédicte: Schließlich war es für uns beide eine echte Überraschung, wie gut uns die Umsetzung unseres Projektziels gelang. Das Konzept »Zwillinge« hat sich als weit reichhaltigeres und umfassenderes Thema dargestellt, als wir ursprünglich erwarteten. Bei jeder Erwähnung des Projekts wurden uns Geschichten, Hinweise und persönliche Erfahrungen präsentiert. Dass dies so oft geschah, bestätigte uns, dass unser Gegenstand die Menschen über Nigeria und auch über die körperliche Ähnlichkeit hinaus fasziniert. Dies ist die wahre Macht eines Mythos: er regt die Fantasie an und besitzt die Fähigkeit, eine verborgene Welt zu öffnen.





F: Welcher Moment der Reise hat Ihnen am besten gefallen?

Sanne: Wir haben unglaublich viel erlebt, aber ich glaube, dass Bene und ich uns darin einig sind, dass dies ein Moment am Ende unserer Reise in Igbo-Ora – der selbsternannten Zwillingshauptstadt der Welt – war, in der es in fast jeder Familie Zwillinge gibt. Die Familie, bei der wir im Hotel wohnten, brachte uns zum Ado-Awaye, einem schönen »suspendierten« See, also einem von weltweit ganz wenigen Wasserreservoirs ohne Zu- und Ablauf. Es ist sehr wichtig, dass wir an jedem Ort, an dem wir ein Projekt durchführen wollen, ein positives Umfeld schaffen. Schon die Tastsache, dass sie uns dieses Naturwunder zeigen wollten, war sehr bewegend.

Bénédicte: Für uns war es etwas ganz Besonderes, mit ihnen zu gehen, weil es Zeichen einer Integration war. Ein wunderschöner Moment, in dem es nicht um die Fotografie ging, sondern um unsere Verbindung zu den Menschen, mit denen wir arbeiteten.
Später fuhren wir nach Calabar. Ich war überrascht, als ich eine Statue von Mary Slessor sah, einer schottischen Missionarin, die im späten 19. Jahrhundert erfolgreich gegen die Zwillingstötung in der Gegend kämpfte. Die Statue wurde in der Mitte des wichtigsten Kreisverkehrs aufgestellt und trägt Zwillinge in den Armen. Dies brachte mich zum Nachdenken: Wann werden wir Statuen großer Afrikaner in Europa aufstellen und diese für ihren Beitrag zu einer besseren Welt ehren?





F: Was ist Ihre Lieblingsaufnahme?

Sanne: Das erste, was mir in den Sinn kommt, ist die Aufnahme von zwei Mädchen in Igbo-Ora, die ein ganz spezielles Hautleiden hatten. Sie wollten sich zunächst nicht am Projekt beteiligen. Nachdem sie aber zugestimmt hatten, ließen sie ihre Schutzhüllen fallen und arbeiteten begeistert mit. Das resultierende Foto ist sehr speziell.





Bénédicte: Ja, und weil sie sich so ähnlich sehen, konnten wir ein Bild aufnehmen, auf dem sie hintereinander stehen, ihre Gesichter aber ein Profil zu bilden scheinen. Begeistert hat uns auch das Porträt der beiden männlichen Zwillinge, das wir in einem blau ausgeleuchteten Zimmer in Calabar aufgenommen haben. Die beiden waren unglaublich nett und geduldig. Es war eine unserer letzten Aufnahmen und ein wirklich magischer Moment. Hier kamen Atmosphäre, Farbe und Körpersprache zusammen, um die einzigartige Bindung und die geheimnisvolle Aura offenzulegen.





F: Welche Ausrüstung hast du mitgenommen und wie hat sie dir geholfen?

Sanne: Wir fotografieren beide mit der D850, ohne die wir nicht mehr können. Die Bildqualität ist so herausragend, dass unabhängig von der Einstellung, ob Weitwinkel oder Porträt, das Ergebnis superscharf wird, ohne an Licht, Nuancen und Ausdruckskraft einzubüßen.
Beim Objektiv habe ich mich für das AF-S NIKKOR 24–70 mm 1:2,8G ED entschieden, das ich benutze, seit ich mit Nikon fotografiere. Für mich bietet es perfekte Balance zwischen Flexibilität, hoher Lichtstärke und Schärfe bis in die Bildecken, vergleichbar mit Festbrennweitenobjektiven. Ich liebe es.





Bénédicte: Ich wechsle meine Objektive etwas öfter. Meine beiden Favoriten: AF-S NIKKOR 35 mm 1:1,8G ED und AF-S NIKKOR 58 mm 1:1,4G.  Als Fotojournalistin erscheint mir die Qualität von Festbrennweitenobjektiven als ideal geeignet, wenn die Umgebung eingefangen werden soll, ohne die Vertrautheit mit dem Motiv zu beeinträchtigen. Die Weitwinkel-Perspektive des 35-mm-Objektivs war für diese Aufnahme unverzichtbar, weil Menschen in ihrem Umfeld aufgenommen werden sollten. Die Qualität und die Lichtstärke des 58-mm-Objektivs sind bei schlechterem Licht hilfreich. Wir haben mit mehreren Blitzgeräten und einem Sender experimentiert, für uns etwas ganz Neues.





Bénédicte: Ich habe auch die neue Z 7 mit dem Zoomobjektiv NIKKOR Z 24–70 mm 1:4 S zum Testen mitgenommen. Das leichte Gehäuse macht die Kamera zu einem wunderbaren Werkzeug. Ich stehe noch ganz am Anfang der Erkundung, war aber besonders von der Leistung bei schwachem Licht, der Schnelligkeit des Fokus und der Qualität der resultierenden Dateien beeindruckt.





F: Was haben Sie über das Konzept »Zwillinge« in Nigeria gelernt und was erwarten Sie für die Zukunft?

Sanne: Ich habe gelernt, dass es bei Zwillingen um die Einheit in der Duplizität geht, um die biologische Verbindung zwischen Geschwistern und ironischerweise darum, die Gleichheit als etwas zu betrachten, das dich von anderen unterscheidet.

F: Welche Botschaft möchten Sie mit den Fotos dieses Nikon-Spezialprojekts vermitteln?

Bénédicte: Die Genetik bildet eine der letzten Grenzen. Gerade im Westen werden immer mehr Zwillinge geboren. Indem wir einen einzigartigen Blick auf Zwillinge ermöglichen, können wir die Welt hoffentlich mit einigen afrikanischen bzw. nigerianischen Werten und Traditionen vertraut machen, statt die Zwillinge auszusondern.

Sanne: Für mich besteht das Ziel dieses Projekts darin, die Komplexität nicht nur der Kulturen, sondern auch der Beziehungen zwischen zwei Menschen zu zeigen – zwischen Zwillingen, Eltern und Kind und in unserem speziellen Fall sogar zwischen zwei Fotografen. Wir hoffen, dass unsere Bilder diese Dualität abbilden.
Zugleich hat dieses Projekt erstaunliche Gelegenheiten der Kooperation mit anderen Menschen geschaffen. In der Zusammenarbeit mit Personen, die Dinge anders sehen und interpretieren, passt man seine Arbeitsweise an und lässt sich von neuen Möglichkeiten inspirieren.


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